Zur Städtetour 2019 „Kreuz und quer durch das Pentagon von Brüssel“ kamen am Samstag, den 26.10. bei herbstlich frischem Wind und strahlendem Sonnenschein 44 Wanderer. Vom Bahnhof Brüssel Central (lt. wörtlicher Übersetzung Brüssel = „Wohnort im Sumpf“) ging es zunächst ein kurzes Stück zur Kathedrale St. Michael & St. Gudula auf den Teurenberg.
Hier gab es schon in karolingischer Zeit eine St. Michael geweihte Taufkapelle, exakt hier ließ auch Karl von Niederlothringen im 10. Jahrhundert eine Kapelle errichten. Nach Überführung der Gebeine der Heiligen Gudula im Jahre 1047 wird sie zur Stiftskirche mit erweitertem Patrozinium geweiht. Obwohl Kardinal Suenens später herausfindet, dass es im Vatikan keine schriftlichen Unterlagen für die Heiligsprechung der Gudula wg. des Laternenwunders gibt, wurde die (zeitweilige) Aberkennung später wieder aufgehoben.
Die heutige, gotische Erscheinung der Nationalkirche des belgischen Königreiches entstand vom 13. bis 15. Jahrhundert. Dazu wurden Felsen aus dem belgischen Gebiet Gobertange verwendet, die nur besonders prestigeträchtigen Bauten zustanden und bis heute die sehr helle Optik des Gotteshauses ausmachen. Die Kathedrale verfügt über unermessliche Kunstschätze: 1200 Glasgemälde in 16 Chorfenstern (die ältesten aus dem 16. Jh.) sorgen für ein helles, lichtdurchflutetes Inneres, an den Säulen des Hauptschiffs befinden sich zwölf überlebensgroße Apostelfiguren aus dem 17. Jahrhundert. Die 1669 geschnitzte Barock-Kanzel zeigt lebensgroß & vollplastisch die Vertreibung Adam und Evas aus dem Paradies. In der Nähe des Hochaltars befindet sich das Grabdenkmal des Herzogs Johann II. von Brabant. Die Ausstattung der Sakramentskapelle ist im Zusammenhang mit dem Brüsseler Sakramentswunder von 1370 zu sehen, bei dem eine geschändete Hostie unvermittelt zu bluten begonnen haben soll.
Nach einem kurzen Abriss zur Stadtgeschichte, die mit dem gleichzeitigen Bau dieser St. Michaels-Kapelle und einer Burg auf einer von der Senne umflossenen Insel im 10. Jahrhundert richtig begann, liefen wir zum Park von Brüssel, mit 13 ha größtem innerstädtischen Park, ehemaligem Jagdgehege der Herzöge von Brabant und seit Maria Theresia der Allgemeinheit zugänglich - auch heute noch mit seinem altem Baumbestand und plätschernden Springbrunnen eine Oase der Ruhe in der quirligen Stadt.
Das Palais de la Nation mit Sitz des belgischen Senats und der Abgeordnetenkammer auf der einen, der königliche (Arbeits-)Palast auf der anderen Seite des Parks, dahinter die königliche Hofkirche – Glanzlichter im Quartier Royale. Danach ging es den wegen der vielen anliegenden Museen als Kunstberg benannten Hügel abwärts, vorbei am Magritte-Museum und dem im überbordenden Jugendstil errichteten ehemaligen Kaufhaus Old England, das heute das Musikinstrumentenmuseum beherbergt und in der obersten Etage ein Restaurant mit weitem Ausblick beherbergt.
Von hier hat man bei diesem klaren Wetter einen fantastischen Blick die Basilika auf dem Kokelberg, auf die Innenstadt und den davor gelegenen Park im französischen Stil, daher auch die Bezeichnung Balkon von Brüssel. Es wurde das Glockenspiel mit seinen (historischen – und Volks)-Figuren am zur Weltausstellung 1958 errichteten Maison de la Dynastie erklärt und genau 13:00 h live erlebt.
Zurück zur Rue Royale, liefen wir anschließend in Richtung des (immer noch eingerüsteten) Justizpalastes zum Sablon- (=Sand - auf dem es auch erbaut wurde) Viertel, hinter der ersten Stadtmauer gelegen und wegen der Königsnähe überwiegend von Aristokraten besiedelt, bis heute sehr gepflegt und majestätisch.
Im kleinen Park, umgeben von mit 48 Statuen (=Darstellung der mittelalterlichen Zünfte) geschmückten Zaunsäulen, wurde eine kleine Pause zur Stärkung eingelegt.
Nach Besichtigung des ehemaligen Egmont-Palais und der in schönster Brabanter Gotik errichteten Sablonkirche - einer bedeutenden Wallfahrtsstätte, seit im 14. Jh. eine Marien-Statue in Antwerpen entwendet und hierher überführt wurde, liefen wir abwärts zur Kapellenkerk an der Grenze zum Stadtteil Marollen - bis heute überwiegend von einfachen Arbeitern (und im Mittelalter auch von Prostituierten) bewohnt. In dieser Kirche wurde der Maler Pieter Breugel der Ältere, einst von der wirtschaftlichen Blüte Brüssels zum Broterwerb angelockt, vermählt und später auch beerdigt. Aufgrund seines 450. Todesjahres finden in diesem Jahr zahlreiche Veranstaltungen zu Breugel in Brüssel und Umgebung statt. In der Kapellenkerk ist es die 3D-Darstellung typischer Charaktere aus seinen Gemälden, die mittels eines Begleitheftes zur Ausstellung vorgestellt wurden – Sabrina konnte stolz berichten, dass sie zuerst & alle gefunden hatte.
Weiter ging es zum weltbekannten, an diesem Tag unbekleideten Manneken Pis, dessen Ursprung bis heute ungeklärt ist. Hier teilte sich nun die Gruppe – wer wollte, konnte direkt zum wenige Schritte entfernten Marktplatz laufen.
Die Unermüdlichen unter uns Stadtwanderern fügten noch eine zweite Schleife an – vorbei an der Marienkirche mit markanter sechseckiger Kuppel, über den Boulevard Anspach, unter dem heute die Senne fließt zur ehemaligen (Fleisch-)Markthalle just an dem Platz, wo 977 Karl’s Burg errichtet worden war.
Zinneke Pis lässt trotz seines Namens kein Wasser, sondern hebt nur sein Bronzebein. Vorbei an der Börse und St. Nicolas ging es zum Royal Theater de la Monnaie (auf dem Platz der alten Münze), von dem aus am 25. August 1830 nach der Aufführung einer Oper die belgische Revolution ihren Anfang genommen haben soll. Schräg dahinter erinnert der ruhige Märtyrerplatz mit seiner zentral gelegenen Krypta an die Opfer eben dieser Revolution.
Vorbei an der Kneipe Mort subite (auf ein schnell endendes Würfelspiel zurückgehend) durch die im florentinischen Renaissancestil errichteten Galerien St. Hubert gelangten wir in den Bauch von Brüssel, wo nach der Besichtigung des weiblichen Pendants Jeanneke Pis eine größere Pause zur allgemeinen Erholung & individuellen Einkehr stattfand.
Treffpunkt für die Heimfahrt war der Rathausturm, gleichzeitig Belfried der Stadt, auf dem Marktplatz. Der Platz ist seit 1998 UNESCO-Weltkulturerbe mit der Begründung, er „zeigt auf ganz bemerkenswerte Weise die Entwicklung und den Erfolg einer nordeuropäischen Handelsstadt in ihrer Blütezeit.“ Zunächst hauptsächlich mit aus Holz gefertigten Häusern bebaut, beginnen sich im 15. Jahrhundert die Gilden in den Häusern niederzulassen. Nach der Bombardierung durch die Truppen des französischen Königs Louis XIV. im Jahr 1695 musste der Grand-Place beinahe komplett neu aufgebaut werden. In den letzten Jahren wurde er wieder einmal umfassend saniert und zeigte sich in voller Schönheit - fast gerüstlos.
Vorbei an der Kirche St. Marie Madeline, das einzige Bauwerk, das die großflächigen Stadt-Umbauten zugunsten der in den Untergrund verbannten Eisenbahn in den 1950-zigern durch Abtragung und Wiederaufbau an anderer Stelle überstanden hat, und durch die Schlumpf-Passage (Graffito anlässlich ihres 60. Geburtstages) gelangten wir nach einem langen, erlebnisreichen Tag zurück zum Bahnhof.
Diana Hofmann
Fotos: d. Bothe, K. Heidtmann, B.Klinkenberg. Zusammenst./Aufbereit. K. Heidtmann