Vom Höllentor ins Fegefeuer – Impressionen aus einer (fast belgischen) Stadt
Die seit mehreren Jahren geplante Tour in eine der ältesten Städte der Niederlande konnte endlich am Samstag, den 06.08. 2022 & bei perfektem Wetter stattfinden.
Maastricht’s Bedeutung liegt in seiner geographischen Lage – die Maas ist hier so flach, dass sie bei normalem Wasserstand durchwatet werden konnte. Dass nutzen zunächst die Kelten, die hier schon 500 v.Chr. eine Siedlung (mit gepflasterten Straßen) errichteten. Um die Zeitenwende errichteten die ingenieurtechnisch versierten Römer eine erste Brücke mit steinernen Pfeilern (die bis zu einer Prozession im Jahre 1275 Bestand haben sollte), um unabhängig vom Wasserstand zu sein und schufen damit die Grundlage für die nördlichste Ost-West-Verbindung im Reich, später als Via belgica bezeichnet und von Köln über Kornelimünster-Heerlen-Masstricht-Tongeren nach Bavai (heute Frankreich) reichend. Kaum hatten sie die Gegend verlassen, bauten die fränkischen Merowinger hier einen ihrer Königshöfe.
31 gut gelaunte Wanderer kamen im Bahnhof der „Vorstadt“ Wyck an, römische Gründung auf der „anderen“ Maasseite und lange als Industrieviertel genutzt. Nach der Verlagerung insbesondere der keramischen Industrie wurde Platz für eine baumbestandene Magistrale zwischen Bahnhof und Servatiusbrücke geschaffen, die heute als schönste gründerzeitliche Prachtstraße der NL gilt. Am Fuß der Mariensäule sind die 4 für Maastricht wichtigsten Bischöfe dargestellt – St. Servatius (Hausheiliger der Karolinger, verlagert im 4. Jh. den Bischofssitz von Tongeren in das besser befestigte Maastricht), St. Monulphus (ersetzt die baufällige, hölzerne Gedächtniskapelle im 6. Jh. durch eine Steinkirche), St. Lambertus, der in Lüttich erschlagen wird und sein Nachfolger St. Hubertus, der den Bischofssitz im 7. Jh. nach Lüttich verlegt, um wenigstens hier uneingeschränkter Herr im eigenen Hause zu sein.
Die parallel zur Maas verlaufende Rechtstraat besticht durch Häuser aus dem 17./18. Jh. mit schönen Blausteineinfassungen bzw. -fassaden, zahlreichen farbenfroh restaurierten Wappenschilden - und Blick auf diesseitige Reste der Stadtmauer. Das um die Ecke gelegene St. Ägidiushospital wurde schon 1286 gegründet, mit den 12 von einem Flur abgehenden Zimmerchen ideal auch als mittelalterliche Pilgerherberge.
Der Kontrast zum dahinter gelegenen Plein 1992, der an die Unterzeichnung der Maastrichter Verträge erinnern soll, könnte nicht größer sein – raumgreifend, von zahlreichen Stararchitekten als (teures) modernes Wohn- und Büroviertel Ende des letzten Jahrhunderts in Kooperation von Stadt und privaten Investoren umgestaltet – aber bis auf ein paar besetzte Tische eines Cafés eher menschenverlassen.
Von der Fußgängerbrücke mit einem Superrundblick über die zahlreichen Gebäude & Türme der Stadt auf beiden Seiten der Maas geht es hinüber – leider aber mitten in das Getümmel des an diesem Wochenende stattfindenden Ironman. Nach kurzer Nachfrage können wir die Absperrung überwinden und neben den Läufern in den Aldenhofpark gelangen – im Laufe des Tages werden wir leider noch mehrfach sogar deren Laufstrecke queren müssen.
Das Höllentor - ältestes noch erhaltenes Stadttor der NL (1229) und weitere Reste der 1. Stadtmauer neben in Sanierung befindlichen, auf die miltärischen Weiterentwicklungen baulich angepassten 3. Stadtbefestigungen mit ihren deutlich niedrigeren & breiten Türmen als Kanonenbasen sehen wir beim Eingang in das Jeker-Viertel. Um den Läufern auszuweichen laufen wir zunächst weiter an der Jeker entlang bis zu einem Wassertor von 1400, das einen Arm des Flüsschens in die Stadt hineinlies und zum Antreiben der bis zu 13 Mühlen diente. Im Falle eines Angriffs konnte durch Schleusen das Wasser des verbleibenden Flussarmes gestaut werden, wodurch das (äußere) Gelände südlich der Verteidigungsanlagen geflutet werden konnte.
Durch das Nieuwenhofportje in der 2. Stadtmauer ging es erneut kreuz und quer durch das Jekerviertel mit ehemaligem Beginenhof, Kirchen, Klöstern und Waisenhäusern - viele der Bauten werden heute von der (wegen Niedergang des Steinkohle-Bergbaus 1976 gegründeten) Universität genutzt. Besonders malerisch ist das Huys op den Jeker mit seinen Treppengiebeln und Kreuzstockfenstern.
Die älteste noch in Betrieb befindliche Mühle der NL geht auf das 7. Jh. zurück. Im 11. Jh. vom lothringischen Herzog Godefried von Bouillon zur Finanzierung seines Kreuzzuges an den damaligen Lütticher Bischof verpfändet, konnte er sie wegen (ehe- und kinderlosen) Ableben im Heiligen Land jedoch nicht mehr auslösen – somit heißt sie bis heute Bischofsmühle.
Hinter dem Wachthuis am Graan-(Korn)markt erhebt sich die Liebfrauenkirche am gleichnamigen Platz. Hier, in der Keimzelle der Stadt, pulsiert das Leben – die voll besetzten Freisitze der umliegenden Gaststätten breiten sich über den gesamten Platz aus. Hier standen der keltische und später der römische Tempel (leider wurden nicht mal einzelne Besucher zu den archäol. Überresten im Keller des Hotels Derlon vorgelassen), die röm. Handelsniederlassung/ Kastell und die vom Bischof Servatius im 4. Jh. erbaute Kirche, die um 900 n.Chr. den noch heute eindrucksvollen, fast fensterlosen und wehrhaften Westbau erhielt (weshalb sie auch lange zur Aufbewahrung von Urkunden und geeichter Gewichte genutzt wurde), deren Schiff und Chor im 12. Jh. die heutigen Ausmaße erreichte und als Höhepunkt der romanischen Architektur im Maasland gilt.
Nach der Mittagspause ging es zügig zum Vrijthof mit der ältesten Gaststätte der Stadt (In den Ouden Vogelstruys), dem Perron, dem heutigen Theater an der Stelle der ursprünglichen Pfalz, der im klassizistischen Stil erbauten militärischen Hauptwache, dem Fegefeuer zwischen der 1633 der reformierten Gemeinde zugeteilten (ehem. Taufkirche) St. Janskerk und der katholischen St. Servatiusbasilika (älteste Kirche der NL) – und dem ältesten noch erhaltenem Wohnhaus der Stadt, dem sogenannten spanischen Gouvernement: zunächst Kanonikerhaus kommt es 1333 kurzzeitig in den weltlichen Besitz von Johann III. von Brabant, 1397 erfolgt seine Rückgabe mit der Maßgabe, dass alle Amtsnachfolger bei Besuchen in diesem Haus logieren können. So hat auch Karl V. hier mehrfach übernachtet – Medaillons von ihm und seiner Frau sind an der hofseitig gelegenen Renaissance-Arkade gut zu erkennen.
Gegenüber dem Stadtpalais des Propstes aus dem 18. Jh. steht ein (zeitgenössisches) Denkmal für Monulphus und Gondulphus - die beiden direkten bischöflichen Amtsnachfolger von St. Servatius. Kaum ausgesprochen jubiliert schon Elfriede, kennt sie doch deren Namen aus der Aachener Dombausage und der noch heute so bezeichneten Aachener Klappergasse.
Maastricht hat es verstanden, viele seiner überreichlich vorhandenen kirchlichen Immobilien neuen Nutzungen unter sorgfältiger Erhaltung des historischen Ambientes zuzuführen. Ein besonders schönes Beispiel ist die Umwandlung des aus dem 16. Jh. stammenden Kreuzherrenklosters in ein Hotel, dessen Lobby in der ehemaligen Kirche mit angeschlossener Bar & oberirdisch gelegenem, gut temperiertem Weinkeller die gesamte Gruppe besichtigen durfte.
An der Capucijnenkerk vorbei gelangten wir zur versteckt gelegenen „neuen“ Synagoge, die 1840 vom Stadtbaumeister im klassischen Stil erbaut wurde. Als Gebäudeschmuck dienen Tafeln mit den hebräischen Namen der 12 Stämme Israels.
Im hochgotischen Gotteshaus der Dominikaner befindet sich heute eine Buchhandlung (mit Regaleinbauten über mehrere Etagen).
Über das Dinghuis, zwischenzeitlich bis zum späteren Bau des Rathauses Tagungsort des lütticher (d.h., bischöflichen) und des brabanter (d.h. weltlichen) Hochgerichts mit Gefängnis & Folterkammer im Keller und Feuerausguck im Turm ging es zum Rathaus auf dem (heute kombiniert stattfindendem Wochen-/ Floh)markt.
Zu Ehren des Maastrichter Professors für Naturkunde, Johannes Petrus Minkeleers, der erstmals Leuchtgas aus Steinkohle herstellte, wurde 1904 ein Denkmal auf dem Marktplatz errichtet. 1954 wurde die zugehörige Fackel auf dem Denkmal gezündet – 2011 wegen der anfallenden Kosten wieder dauerhaft gelöscht. Ein Bezahlautomat war auch nicht die Lösung, weshalb der russ. Präsident Putin sein Angebot unterbreitete, zukünftig aus Nordstream 2 kostenlos die entsprechende Gasmenge bereitzustellen. Leider war kurz zuvor ein Flugzeug mit vielen Niederländern an Bord gerade abgeschossen worden – weshalb man wegen „fehlender Nachhaltigkeit“ ablehnte.
An St. Matthias, eine der vier alten, traditionsreichen Pfarrkirchen vorbei ging es über die St. Servatiusbrücke zurück zum Bahnhof.
Diana Hofmann
Fotos: H.Baumsteiger, K. Heidtmann, B.Klinkenberg. Zusammenst./Aufber.: K. Heidtmann